rhapsody
SURREALISTISCHE TRAGIKOMÖDIE/TRAUMWELT/ GESCHICHTSBEWUSSTSEIN
Wer träumend sagt »Ich träume«, auch wenn er dabei hörbar redete, hat so wenig recht, wie wenn er im Traum sagt »Es regnet«, während es tatsächlich regnet. Auch wenn sein Traum wirklich mit dem Geräusch des Regens zusammenhängt.
(Aus: Wittgenstein, Ludwig. Über Gewissheit.)
Im ersten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts stellte sich der Komponist George Gershwin die Frage: »Was ist amerikanische Musik?«. Aus seinen musikalischen Überlegungen und Nachforschungen entstand die jazzklassische Komposition »Rhapsody in Blue«. Im gleichen Jahr, auf der anderen Seite des Atlantiks, schrieb André Breton das Surrealistische Manifest1 – sechs Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs.
Die Zerstörung, die Gewalt und der Schrecken im Namen von Glaube, Nation und Ordnung waren noch in Köpfen und Körpern präsent.
Die Künstler*innen des Surrealismus spürten, während sie im Wellental lagen, schon den Sog von Inflation, Fremdenhass und Arbeitslosigkeit unter den Füßen und stellten dem auftürmenden Wellenkamm2 eine höhere Wirklichkeit aus Träumen, Unbewusstem und Assoziativem gegenüber.
Hundert Jahre später stellt sich Azeret Koua, Regisseurin und Autorin von »rhapsody«, die Frage: Wie sieht im Jahr 2024 eine Feier des Theaters3 aus? Wie können wir Entsprechungen finden für eine Welt, die unterworfen ist von Multikrisen, für ein Land, das von einer blauen Welle überrollt wird? Wie verschaffen wir Gehör für die Menschen, die in dieser Situation keinen Platz zu finden scheinen, da das Bleiben zunehmend zum Risiko wird und das Gehen mit Unsicherheit und Sorge verbunden ist?
Der Vorhang hebt sich. Dahinter ein Spiegel, eine Projektionsfläche und ein Tisch, an dem die Repräsentanten der Macht zusammensitzen. Die altbekannten Zeitgeister versammeln sich. Ihre Phrasen hallen durch den Raum. Eine Person kommt dazu. Wird eingeladen, mit am Tisch zu sitzen. Der Boden unter ihren Füßen beginnt sich zu drehen.
Die gelegten Brände verrauchen nicht, unterschiedliche Weltsichten und Sorgen nehmen die Träumenden in ihren Bann und vermengen sich mit popkulturellen Zitaten und Ritualen. Das Publikum selbst verfällt ins Träumen. Weitere Figuren treten auf, sie scheinen miteinander verwandt, doch wer sie sind, bleibt ein Rätsel. Neue Verwandlungen stellen die Bühne und die Atmosphäre des Traumes um. Wenn das Erlebte dann endgültig eingewebt ist in die eigene Geschichte, wachen wir auf, und am nächsten Morgen, um den Frühstückstisch, hallen noch die Worte und Bilder nach.4
»Rhapsody« legt den Finger in eine Wunde, die schmerzt. Eine Wunde, die nicht geheilt werden kann.
Altersempfehlung: ab 16
Uraufführung: 24.10.2024
Dauer: 85min
Content Notes:
LICHT: Während einer Szene gibt es in Video und Licht Stroboskob–Effekte. Diese Lichtreize können bei Menschen mit Epilepsie Anfälle auslösen.
Fußnoten:
- Es steht dort unter anderem geschrieben: »Ich glaube an die künftige Auflösung dieser scheinbar so gegensätzlichen Zustände von Traum und Wirklichkeit in einer Art absoluter Realität, wenn man so sagen kann: Surrealität. Nach ihrer Eroberung strebe ich, sicher, sie nicht zu erreichen, zu unbekümmert jedoch um meinen Tod, um nicht zumindest die Freuden eines solchen Besitzes abzuwägen.«
- Die Kraft von Wellen fasziniert den Autor dieses Ankündigungstext, seitdem er in einem Bretagneurlaub im Alter von 10Jahren vom Atlantik geschluckt und runtergedrückt wurde und mit pochendem Herzen und Salzwasser in den Lungen an den Strand gespült worden ist. https://www.zdf.de/dokumentation/terra-x/plus-schule-wie-entstehen-wellen-100.html
- Wenn sich ein Ort zum kollektiven Träumen eignet, dann das Theater. Angeregt von den der Bühnenkunst innewohnenden Zeichen ist das Publikum zum Erleben und zum Fühlen eingeladen und manchmal bildet sich auch ein Erkennen heraus, weswegen nicht nur David Lynch weiß, dass ein Notizbuch neben dem Bett Leben retten kann. https://www.youtube.com/watch?v=LVeAuwU-uuU
- Ist das die Klammer von Theater, Surrealismus zu Geschichtsbewusstsein? Das kann dieser Text wirklich nicht beantworten. Aber vielleicht hat es Spaß gemacht ihn zu lesen, um dann in »rhapsody« im Theaterhaus Jena zu gehen. Oder er hat dazu angeregt sich seine eigenen Gedanken zu machen. Aber dafür braucht es ja keinen Einführungstext. Oder?
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RHAPSODY // english
SURREALIST TRAGICOMEDY/ DREAM WORLD/ HISTORICAL AWARENESS
Theaterhaus Jena opend the season with a surrealist fever dream that brings the discomfort of the here and now to life. The political events of the present and the past merge in sleep into imaginary worlds inspired by the artistic approaches of the early twentieth century. Life is but a dream... how deeply can we lose ourselves in it?
Age recommendation: 16+
World premiere: 24.10.2024
Besetzung // Cast
Es spielen: Saba Hosseini, Ioana Nițulescu, Jonathan Perleth, Iman Tekle, Florian Thongsap Welsch
Regie und Text: Azeret Koua
Bühne und Video: Nicole Marianna Wytyczak
Kostüme und Maskenbild: Elizaweta Veprinskaja
Choreographie: Jasmin Avissar
Musik: Lukas Pergande
Dramaturgie: Josef Bäcker
Regieassistenz: Thomas Schmale
Ausstattungsassistenz: Lenni Hofer
Maske: Heike Lindemann
FKJ Kultur Dramaturgie: Alice Kieser
FKJ / Ausstattung: Nio Läuter
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Playing: Saba Hosseini, Ioana Nițulescu, Jonathan Perleth, Iman Tekle, Florian Thongsap Welsch
Direction and text: Azeret Koua
Stage design and video: Nicole Marianna Wytyczak
Costumes and mask image: Elizaweta Veprinskaja
Choreography: Jasmin Avissar
Music: Lukas Pergande
Dramaturgy: Josef Bäcker
Assistant-direction: Thomas Schmale
Equipment-assistance: Lenni Hofer
Make-up: Heike Lindemann
FKJ Kultur Dramaturgie: Alice Kieser
FKJ / Ausstattung: Nio Läuter
Informationen
Nachgespräch // Der Vorverkauf in der Tourist-Information ist beendet. Eintrittskarten gibt es ab 19 Uhr an der Abendkasse.
Schauspiel
Samstag, 02.11.2024, 20:00 Uhr · Hauptbühne
Tickets
18,00 €/9,00 €