Paradies Ost - ein Roadtrip

Hey! Wir sind Ronja Oehler und Marco Damghani. Einen Monat lang sind wir durch die blühende thüringer Frühlingslandschaft gereist. Im Kofferraum ein Haufen Fragen:

An morgen denken oder nicht? Sind wir alleine oder denken wir kollektiv? Wie und wo lassen sich Unterschiede feiern? Was ist noch übrig, von dem, was hier schon einmal versucht wurde? Wohin hat es uns gebracht? Wie können wir Erinnerungen für Zukunftsentwürfe aktivieren, anstatt sie nur zu archivieren? Wie und wo können wir neue Hoffnungen formulieren? Wo glauben wir noch an eine bessere Zukunft?

Auf unserer Reise haben wir 12 Menschen getroffen, die uns mit einigen dieser Fragen helfen konnten oder uns völlig neue Fragen mit auf den Weg gegeben haben. Wir möchten sie hier kurz vorstellen. Unter den jeweiligen Links könnt Ihr außerdem herausfinden, wie die wichtige Arbeit unserer Gesprächspartner*innen unterstützt werden kann.

Um die verschiedenen Akteur*innen miteinander zu verbinden, haben wir sie gebeten, uns einen Gegenstand für die nächste Person mitzugeben und ein Lied in unsere Roadtripplaylist zu packen.

Die Rochade seht Ihr hier.

Und für euren eigenen Thüringen-Roadtrip habt ihr hier die Playlist.

Los geht's!

DIE MOTHEK will öffentliche Plätze verwandeln um miteinander in Austausch zu kommen - zum Beispiel als fahrende Bibliothek oder Ausstellung. Über das zukünftige Engagement im ländlichen Raum sagt Anna Barth: "Je mehr Widerstand desto mehr Bock!“. Und dann wird geträumt: aus der alten Nazikneipe, die jetzt zugemacht hat, eine siffige Punkkneipe zu machen. "Warum denn nicht? Im Kopf ist es schon da! Am Ende wird's ein Schwimmbad...", sagt Timo Behn.

Wir fahren mit einer Tuschezeichnung von Anna weiter.

DIE MUNA ist mehr als ein Club – sie ist ein Ort gelebter Subkultur, Gemeinschaft und kreativer Freiheit, der seit drei Jahrzehnten Menschen aus ganz Deutschland anzieht. Auf die Frage, wie die Selbstorganisation gelingt, antwortet das Team: „Wir haben hier keine Hierarchien, wir haben Aufgaben.“

Annas Tuschzeichnung tauschen wir gegen ein selbstgebasteltes Schild aus einem Holzstamm.

Die SIEBENHITZE in Greiz ist eine seit Herbst 2015 geöffnete Bildungs- und Begegnungsstätte - ein Raum für politische Bildung und provinziellen Subkultur Auf- und Ausbau. „Wir machen hier etwas, was es früher nicht gab, obwohl wir es vielleicht gebraucht hätten. Es hilft es immer wieder zu wissen, dass in jedem verf*ckten thüringischen Kaff jemand sitzt, dem nicht alles scheißegal ist.“, sagt das Team.

Wir tauschen die Holzscheibe gegen Siebenhitze-Merch und einen Siebenhitze-Weihnachtsbaumschmuck.

DORFLIEBE FÜR ALLE steht für eine langfristige Vision: ein lebenswertes, demokratisches und solidarisches Miteinander im ländlichen Raum. „In Thüringen großwerden, heißt Scheitern lernen.“, sagt Mitbegründerin Ida Herzog und erzählt von Möglichkeiten des Brückenbauens gegen Rechts.

Wir tauschen das Siebenhitze-Merch gegen Untersetzer des lokalen Cafés.

Mit seinem Engagement trägt der THÜRINGER THEATERVERBAND wesentlich zur kulturellen Vielfalt im Freistaat bei. Er fördert kreative Prozesse, stärkt die Sichtbarkeit freier Theaterarbeit und schafft Räume für künstlerischen Austausch. Tanja Matjas: „Menschen versammeln sich um die Kunst herum - Investitionen in Kultur sind Investitionen in das Gelingen von Gesellschaft.“

Wir tauschen die Untersetzer gegen ein Notizheft vom Theaterverband und legen nach noch einen Shot Kloßbrühe von unserem Abstecher in die Thüringer Kloßwelt in Heichelheim dazu.

Das KASSABLANCA JENA ist seit über dreißig Jahren eine feste Kultur- und Kunstinstitution des Thüringer Nachtlebens und ein Raum für Subkultur jeglicher Art unter dem Motto „Alles kann, nichts muss“.

Mit Thomas Sperling reden wir darüber, dass gesellschaftlicher Wandel vielleicht nur gelingen kann, wenn man aus dem Dauerempörungszustand in ein Handeln kommt. Das Kassa ist so ein Ort an dem das möglich ist - zu verstehen, dass Demokratie Kompromiss bedeutet.

Wir tauschen Notizheft und Kloßbrühe gegen Christian Gesellmanns Buch „…man war ja auch noch jung“.

Aus der Aufbruchstimmung der Nachwendejahre und dem Wunsch der Künstlerinnengruppe Erfurt nach einem eigenen Ort ist das KUNSTHAUS ERFURT entstanden - ein Haus für zeitgenössische Kunst, den die Leiterin Monique Förster als einen Ort begreift, wo man Kunst und Gesellschaft üben kann ohne belehrt zu werden. „Hier kann man eine Kunstform lesen lernen, fernab vom klassischen Kunstverständnis, was in Thüringen sehr vorherrscht."

Wir tauschen Christian Gesellmanns Buch „…man war ja auch noch jung“ gegen ein Buch über konspirative Wohnungen.

Im KULTURQUARTIER ERFURT gab es breite genossenschaftliche Unterstützung der Zivilgesellschaft für den Kauf und die Sanierung des alten Schauspielhauses Erfurt. Hier entsteht ein Zentrum gestaltet von verschiedenen Kunst- und Kulturakteur:innen der Stadt, dass jetzt schon von vielen Ehrenamtlichen bespielt wird. „Ihr seid ja irre, da muss ich dabei sein!“ ist ein beispielhafter Satz, der oft während der ehrenamtlichen Planungsphase fiel und jetzt auf den Flyer des Vereins steht.

JULIANE STÜCKRAD ist Ethnologin, Autorin und Kulturvermittlerin mit einem besonderen Fokus auf ostdeutsche Lebenswelten. Ihr Interesse gilt den sozialen Dynamiken und Alltagskulturen in ländlichen Regionen Ostdeutschlands. „Ich wünsche mir, dass diese Empörungskommunikation weniger wird und wir uns wieder konstruktiv auf das konzentrieren, was wir schaffen können.“, sagt sie.

Wir tauschen das Buch von Monique gegen eine Auflistung des immateriellen Thüringer Kulturerbes.

Die KULTURKNEIPE SPATZ wird von der Kommune Waltershausen betrieben, einem Mehrgenerationenprojekt, das sich für ökologische und soziale Nachhaltigkeit einsetzt und einer ehemaligen Puppenfabrik neues Leben einhaucht. „Am schönsten ist es, wenn Gesichter auftauchen, die man bisher noch nicht gesehen hat. Es ist wichtig, die kleinen Erfolge zu feiern.“ erzählen sie uns.

Wir tauschen die Sammlung von Kulturerbe ein gegen selbstgemachtes Apfelmus und Marmelade.

UNOFFICIAL.PICTURES entwickeln Ausstellungen, Bücher, Zeitungen und Filme mit Menschen aus der Region und regen dazu an sich über Fotografie und Bilder auszutauschen und die eigenen Anliegen auszudrücken. Dabei liegt immer ein Fokus auf der Inklusion von Menschen aus medial unterrepräsentierten sozialen Gruppen. „Es geht darum ein Mittel zu haben, über das man ins Erzählen kommen kann, gerade fernab der großstädtischen Zentren.“ sagt Rafael Brix.

Wir tauschen selbstgemachtes Apfelmus und Marmelade gegen die Magazine "Von hier 1+2"

Zu unserem letzten Stopp treffen wir uns mit Nadja Sühnel vom SYNDIKAT GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN bei der Walpurgisnacht in Bergern. Sie recherchiert zu verschiedenen Thüringer Bräuchen und ist auf der Suche danach, wo sich ihre Heimat auch mit einer globalen Perspektive verbinden lässt. Sie fragt sich: „Wie kann man zum Beispiel lustvoll über Thüringen singen ohne rechte Narrative zu bedienen?“.

Bei der Walpurgisnacht in Bergern trifft sich das Dorf als Hexen und Teufel verkleidet vor dem Gemeindehaus, um von dort einen Umzug zum großen Feuer zu starten und auf dem Weg die Hexen zu Hause abzuholen. Es werden Fackeln verteilt und wir kaufen zwanzig Wertmarken, die wir am Ende für Liebesäpfel auf den Kopf hauen. Wir laufen vorbei an prachtvollen Eigenheimen, alle paar Meter ein schon fertig eingegossenes Fundament oder eine langsam verdorrende Birke vom Richtfest. Manchmal drehen wir uns hektisch um und schauen, ob nicht doch schon ein Haar in der Fackel eines Kindes hängt.
Am Festplatz spielt eine Coverband einen Hit nach dem nächsten. Das Feuer wird pünktlich angezündet. Wir sitzen in der Wiese und es ist ein bisschen egal, dass wir da sind. Oder selbstverständlich. Oder einfach schön. Wie auch immer. Wir sehen einer Tanzperformance der Hexen zu epischer gema-freier Musik zu. Es wird gejubelt und wir werfen die Stäbe unserer Liebesäpfel in die Flammen. Neben uns steht ein Mann in einer Thor-Steinar-Jacke. Es wird langsam dunkel, die ersten Teens betreten das Feld und wir steigen ein letztes Mal ins Auto.