Variablendrama; was soll das sein?
Schluff tritt auf. Nervös und unbeholfen liest er einen Werbetext von einem Zettel ab.
SCHLUFF: »Was kann Theater, was Film und Fernsehen nicht kann? Richtig, im Moment lebendig sein! Aber wie können wir diese Nuance im Erleben auf das nächste Level bringen und zu einem echten Game Changer machen, der dem Theater wieder einen Unique Selling Point verschafft?«
Was?! (Er stockt. Es ist offensichtlich, dass Schluff es nicht gewohnt ist, Texte vorzutragen.) Was heißt das? Egal.
»Genau diese Frage hat auch uns umgetrieben und nach jahrelanger Entwicklung haben wir jetzt die perfekte Antwort darauf gefunden: Das Variablendrama! Wenn sich in Zukunft der Vorhang öffnet, wird das Ende noch nicht feststehen. Für niemanden. Denn wichtige Entscheidungen können Sie jedes Mal aufs Neue fällen. Erleben Sie, wie diese kleine Feature, eine Revolution auf dem Gebiet des Theaters bewirken kann, denn bei einem Variablendrama ist nichts sicher. Spannung pur. Nervenkitzel aus einer anderen Dimension. Entertainment von–«
Struv ist in der Zwischenzeit aufgetreten und hat zugehört.
STRUV: Was machst du da?
SCHLUFF: Werbung.
STRUV: Werbung?
SCHLUFF: Ja.
STRUV: Lohnt sich?
Schluff schüttelt den Kopf. Struv reißt ihm den Zettel aus der Hand und liest.
STRUV: »Das ist eine Nachricht des Autors. Halte dich genau an meine Anweisungen oder du wirst es bereuen. Ich habe dich erschaffen und kann dich genausogut jederzeit–« Du lässt dich erpressen!
SCHLUFF: Psst! (nimmt den Zettel wieder)
STRUV: Ich würde das einfach ignorieren.
SCHLUFF: Aber er sagt, wir sterben–
STRUV: Das werden wir auch so. Zeig mal her. (Struv nimmt den Zettel wieder und liest ihn kurz durch. Stille.) Das hört sich aber nach ner richtigen Scheißidee an. Da verpasse ich ja jedes Mal die Hälfte, wenn ich ins Theater–
Jetzt geht es hier weiter.
STRUV: Nix da. Einfach kaputte Links einfügen! Damit könnt ihr uns nicht zum Schweigen bringen. Wir wollen keine Werbung für diesen aufgeblasenen, uninspirierten Mist machen.
Schon wieder ein Link. Nur Idioten klicken auf irgendwelche dahergelaufenen Links im Internet. Niemand wird auf diesen billigen Trick reinfallen, mit dem ihr die Leute mehrmals ins Theater locken wollt.
Der Autor tritt auf.
AUTOR: Bitte hör auf! Wir wollen doch das Stück verkaufen.
STRUV: Dann hör auf, uns zu erpressen.
AUTOR: (zögert) In Ordnung.
STRUV: Zeig mal her. (Stille) Das Stück!
Der Autor reicht Struv das Stück und sie beginnt zu lesen. Sie liest das ganze Stück. Es dauert sehr, sehr lange.
REGISSEUR: Danke! Bis dahin.
Der Regisseur kommt aus dem Zuschauerraum auf die Bühne.
STRUV: Dauert zu lang, oder?
REGISSEUR: Ja, viel zu lang.